„Leben muss man ein Leben lang lernen und darüber wirst du dich wundern: ein Leben lang muss man sterben lernen“ (Seneca).
Diesen sehr weisen Satz hatte schon Lucius Annaeus Seneca (Philosoph, der im späten 1. Jahrhundert v. Chr. in Rom lebte) gesagt.
Es ist März 2023, ich sitze gerade auf einer sonnigen Parkbank und der erste warme Frühlingsduft umweht meine Nase. Herrlich! Es beginnt nach frischem „neuen“ Leben zu riechen, weiße Buschwindröschen, lila Krokusse, zarte leicht rosafarbene Gänseblümchen, die vielen farbenfrohen Stiefmütterchen fallen in mein Blickfeld und lassen mein Herz höherschlagen.
So viel neues Leben! Was für ein wundervoller Gedanke, aber auf einmal schweifen meine Gedanken zwischen all den neuen frischen Lebensgeistern ab.
Was war passiert?
Ein kleines verwelktes und vom Winter zersetztes Blatt hatte meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen und ich fragte mich – ist es nicht eine große Illusion zu glauben, dass uns das nicht passiert?
Auch in meinem Umfeld sind in den letzten zwei Jahren mehrere Personen vers torben (auch junge, besser gesagt sie waren einfach viel zu jung um zu sterben) und jedes Mal ist man schockiert und fassungslos. Ich merke wie ich immer wieder abwechselnd mal das eine mal das andere Auge zukneife und dabei mal auf das alte verwelkte und zersetzte Blatt und dann wieder auf die kleinen jungen zarten Gänseblümchen schaue.
Sofort stellt sich mir die Frage, wie sieht es eigentlich bei mir selbst mit der Fähigkeit des Loslassens aus?
In den letzten Jahren habe ich immer wieder miterlebt, wie hart und schmerzvoll es Angehörige, Freunde und Bekannte trifft, wenn ein geliebter Mensch stirbt ohne, dass man Trauer gelernt hatte und das Thema Tod nach wie vor, ein Thema ist, was man gerne lange vor sich herschiebt. Am Besten man spricht nicht darüber und kennt es am liebsten nur aus dem sonntäglichen Ta tort.
Ich frage mich gerade passt der Tod einfach nicht mehr in das Bild unserer schnellen digitalen fortschrittlichen und auf Jugendlichkeit orientierten Zeit oder ist es einfach der angstvolle Gedanke über das eigene Sterben?
Mitten in meinen Gedanken trommelt ein lautes Tak-tak-tak zu mir herüber. Ein Buntspecht trommelt kräftig gegen eine abges torbene Eiche. Will er mir vielleicht damit ein Signal geben einmal mein Leben „abzuklopfen“ und auch über Dinge nachzudenken, die man am Liebsten verdrängt? Für mich ist der Specht ein ganz besonderes Tier, ein wahres Kraft- und Herzenstier und sein unermüdliches ausdauerndes Klopfen, zaubert immer wieder ein Lächeln in mein Gesicht und lässt mich ihn bewundern.
Mein Blick fällt wieder auf das kleine zersetzte Blatt zurück und ich denke, in Indien ist der Tod Teil des Alltags, warum bei uns eigentlich nicht? Wäre es nicht schön auch bei uns einen gewissen symbolischen Kreislauf von Leben und Tod in irgendeiner Form im Alltag zu integrieren? Würde es uns dann nicht leichter fallen im Moment der großen, tiefen und schmerzlichen Trauer, die Wertschätzung, Liebe und Normalität zu leben?
Ich lasse diese Gefühle zu und auch in mein Herz hinein und denke dabei lächelnd an Katrin.
Sie war es die erst vor ein paar Tagen zu mir sagte „Die eigene Urne oder den eigenen Sargschmuck mitten im Leben zu filzen bedeutet das Leben jetzt zu genießen in dem Bewusstsein der Endlichkeit“.
Ich musste noch länger über diesen sehr prägnanten Satz nachdenken. Enthielt er doch so viele wichtige Schlagworte – mitten im Leben – Bewusstsein – Endlichkeit – eigener Sargschmuck. Ich war davon fasziniert, emotional berührt und verstand dabei noch mehr wie wichtig und wertvoll es ist, sich zu Lebzeiten selbstbestimmt mit diesem Thema auseinander setzen zu können.
Katrin Bigl hat ein kleines Geschäft in Leipzig mit dem inspirierenden Namen „Filzerei Woll Lust“. Dort fertigt sie mit viel Hingabe, Liebe und Kreativität handgemachte Urnen, Sargschmuck und bietet auch Filzkurse an.
Ihre Leidenschaft diese Dinge zu kreieren und zu fertigen, sich mit dem Naturelement Wolle in einer Leichtigkeit zu spielen und dabei beim Filzen ihre eigenen kreativen Grenzen immer wieder neu auszuloten und auch sich selbst mit immer wieder neuen Ideen zu überraschen machten mich sehr neugierig darauf was ihre Motivation war diese kleinen und großen wundervollen Kuns tobjekte entstehen zu lassen.
Sie erzählt mir wie es dazu kam, dass der Sargschmuck und die Filzurnen zu ihrer ganz persönlichen Herzensangelegenheit wurden und auch wie wichtig es ihr war für Ihren vers torbenen Papa seine Urne zu filzen und darin sehr viel Trost und Halt zu finden.
Ich blicke auf der Parkbank sitzend in die wärmenden Strahlen der Frühlingssonne und erinnere mich daran wie ich beim Betrachten ihrer Filzurnen und des Sargschmuckes auf einmal so viel Wärme, Menschlichkeit, Lebensgeschichten und Vorlieben die darin steckten spüren konnte. Ich spürte das wundervoll weiche Material welches eine Festigkeit und wärmenden Schutz ausstrahlte, aber auch so viel Persönliches, Individuelles und auch Raffiniertes. Denn wenn man es wünscht, kann in der Filzurne oder dem Grabschmuck eine kleine eingefilzte Tasche integriert werden, die Raum lässt für einen letzten lieben Abschiedsgruß oder ein Dankeswort. Ein wundervoller Gedanke.
Aber das für mich Wichtigste dabei, diese kleinen und großen Kuns tobjekte erzählen für mich einen Teil der Lebensgeschichte einer Person und so wird es auch einmal meine erzählen. Wir sprachen auch über meinen ganz persönlichen Fluss des Lebens und ich spürte bei der Ideenentwicklung ihre Leidenschaft und mir gefiel der Gedanke dass durch das organische Material die Vergänglichkeit der Filzurnen oder des Grabschmuckes die Idee des großen Kreislaufs wieder aufgegriffen wird, dass wir alle in diesen Kreislauf eingebunden sind und immer wieder dafür gesorgt wird, dass neues Leben entstehen kann.
Dieser Gedanke zaubert mir ein zufriedenes und erleichterndes Lächeln ins Gesicht.
Ich musste dabei ganz unweigerlich an Mark Twain denken, wie er einmal sagte „Weine nicht, weil es vorbei ist, sondern lache, weil es so schön war.“
Ein Beitrag von Birgit Bor toluzzi
Welch ein sensibler und anrührend geschriebener Wortlaut mit viel Gehalt zum eigenen Nachdenken. Mit der Filzurne könnte ich mich auch anfreunden,ist sie doch ein Produkt der Natur und künstlerisch wertvoll.Danke für diesen Artikel,bin selbst 70 Jahre alt.